Mittwoch, 22. Juni 2011

Das Gesicht des Baumes

Vor ein paar Jahren besuchte ich einen Anfängerkurs in einer Bonsaischule. Wir lebten noch mitten in der Stadt und an vielen Tagen war meine Sehnsucht nach einem eigenen Grün so groß, daß ich dachte, es sei eine gute Idee etwas davon ins Haus zu holen.

In der Kursbeschreibung stand "Wir gestalten unseren eigenen Bonsai aus einem heimischen Busch. Der Bonsai ist im Kurspreis inbegriffen. Bitte eine Gartenschere mitbringen." Also fand ich mich, bewaffnet mit einer Gartenschere, im Kursraum ein.
Es waren einige Leute da und der Kursleiter erzählte uns eine (sehr lange) Geschichte über die Entstehung der Bonsais. Dann gab es die Verlosung. (?) Nicht du suchst den Bonsai, der Bonsai sucht dich. Ok.

Auf dem Tisch standen einige kleine Büsche in Töpfen, an jedem war eine Farbkarte mit einer Nummer. Rosa, weiß, rot und einer in gelb. Wir zogen kleine Zettel und auf meinem stand die Nummer 7. So bekam ich ihn, meinen Busch. Er sollte gelbe Blüten bekommen. Gelb? Das geht ja gar nicht. Ich mag gelbe Blüten nicht so gerne. Den muß ich umtauschen. Rosa wäre mir lieber. Ein ganzer Tisch voll Büschen in den besten Farben und ich werde tatsächlich von dem einzigen ausgesucht, dessen Blütenfarbe mir nicht gefällt? Was soll das denn? Man muß mit dem arbeiten, was man bekommt. Nicht du suchst den Bonsai, der Bonsai sucht dich. Doppeltes ok.


Also stand ein kleiner, unförmiger (und irgendwann - zu meinem Leidwesen - gelb blühender) Busch vor mir. Dann kann ich ja mit Schneiden loslegen....Stop. Stop? Jeder Baum hat ein Gesicht und das müsst ihr jetzt erst finden. Konzentriert euch auf euren Baum und sucht das Gesicht. Lasst euch Zeit. Aha.

Nach gefühlten 37 Stunden (also ungefähr 5 Minuten) war ich mir absolut sicher, daß mein Buschdingens absolut kein Gesicht hat. Wo sollte es auch so plötzlich herkommen? Und überhaupt, selbst wenn er eins hätte, wie sollte ich dann etwas davon abschneiden können. Vielleicht würde ich aus Versehen die Nase treffen. Oder ein Ohr. Oder Schlimmeres. Du mußt dich konzentrieren und dir Zeit nehmen. Dein Bonsai wird dir sein Gesicht zeigen, wenn die Zeit gekommen ist. Gut, ich bin noch jung, aber ewig kann ich auch nicht warten....

Um mich herum konnte ich entzückte Seufzer hören. Ich sehe das Gesicht. Da ist es. Mein Bonsai lächelt mich an. Der Kursleiter lobte die Geduld und das Einfühlungsvermögen jedes einzelnen und kam dann zu mir. Was siehst du? Das hatte ich befürchtet. Ich sehe einen Busch der gelb blühen wird und kann ich nicht eine andere Farbe...Nein, konnte ich nicht und weiter nach dem Gesicht Ausschau halten sollte ich auch. Die anderen mußten warten, was meine Beliebtheit in dem Kurs nicht gerade steigerte. Schließlich war ich mir sicher, so etwas wie zwei Augen zu sehen. Vielleicht war es auch nur die Unterzuckerung. Aber alle waren zufrieden und wir konnten weiter machen.

Als nächstes bekamen wir zu hören, daß Gartenscheren absolut ungeeignet sind, um damit an Bonsais zu arbeiten. (Warum sollten wir unsere mitbringen?) Wir erhielten den Auftrag für die nächste Woche eine Bonsaischere und eine Konkavschere zu besorgen. (Danke dem Erfinder des Internetshopsystems!)

Damit war der erste Kursabend beendet. Einsam und verlassen stand ein in Zukunft weiß blühender Busch auf dem Tisch. (Einer der Teilnehmer hatte kurzfristig abgesagt) Also startete ich (ich nahm allen Mut zusammen, den ich finden konnte) einen letzten Versuch. Mein Bonsai hat sich offensichtlich falsch entschieden, könnte ich nicht... Nein, ich konnte nicht.

So verbrachte ich also weitere 9 Abende (jeweils 3 Stunden!) damit, in das Gesicht meines Busches zu sehen, Äste zu schneiden und zukünftige Formen zu erkennen. Ich bog Drähte um Stämme, knipste Blätter ab und lernte das Umtopfen. (Eigentlich lernt man das Umtopfen erst im Fortgeschrittenenkurs, aber die meisten von uns waren Fortgeschrittene und so machte er eine Ausnahme)

Lange haderte ich mit dem Schicksal und fragte meinen Busch immer wieder, warum er gerade mich ausgesucht hat, wo ich doch keine gelben Blüten mag. Hätte er nicht zu jemand anderem gehen können? Eine Antwort bekam ich nie. Bonsais sind keine geschwätzigen Gesellen. Sie geben nur Antwort, wenn sie glauben, daß es nötig ist. Auch gut, dumm nur, daß ich derjenige mit der Schere bin...

Gelb geblüht hat mein Bonsai nie. Ich habe fleissig jede einzelne Knospe abgeknipst, die ich finden konnte. Ich hatte den längeren Atem. Er ist eigentlich ganz schön geworden, gemocht habe ich ihn aber nie. Irgendwann hat er das wohl gespürt und sich in die ewigen Bonsaijagdgründe verabschiedet. Das hat er jetzt davon. Hätte er sich halt jemand anderen ausgesucht....


Take Care,

Markus


Trotz allem, Bonsais mag ich noch immer. Auf den Foto's ist ein Indoor-Bonsai zu sehen, den ich seit ein paar Jahren gestalte. Es dauert wirklich lange, bis man einen fertigen (ein Bonsai ist nie fertig) Bonsai hat.

Für alle, die nicht warten wollen, bis sie von irgendeinem Bonsai ausgesucht werden: Macht mit beim Bonsai-In-A-Teacup-Projekt.


6 Kommentare:

  1. Guten Morgen lieber Markus

    das hast du ja wiedereinmal HERRLICH geschrieben :)

    Oh! Dieses kleine gelbblühende Bonsai-Bäumchen das dich so lieb 'ausgesucht' hat...

    Dein Bonsai-In-A-Teacup-Projekt werde ich mal im Auge behalten. Aber so wie es aussieht braucht man dazu VIEL Geduld. (Leider nicht eine Stärke von mir.)

    Liebe Grüsse

    Cornelia

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  2. Guten Morgen Markus

    ich liebe diese Geschichten , hast Du mein Lachen gehört?.
    mir geht es ja wie meiner Vorschreiberin, mit der Geduld habe ich es nicht so, aber vielleicht sollte ich doch....oder lieber nicht, also gut ich fange mal an mit dem Bonsai(geht auch ein Buchs, Ficcus hab ich keinen?)

    Wünsche Dir einen schönen Tag

    Liebe grüße

    Sanne

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  3. Du Armer!
    Ausgerechnet gelb! Aber wer weiß, was aus ihm geworden wäre, hättest Du die Knospen drangelassen!?
    Ich glaube, an Deiner Stelle hätte ich mir das einsame Bäumchen heimlich geschnappt und das ungeliebte dagelassen.
    Mir geht es so mit Stoffen, deren Muster oder Farben ich so gar nicht leiden kann. Dann kann ich meist auch nichts Gescheites daraus nähen.

    Ich persönlich mag Bonsais eigentlich so gar nicht.
    Aber Dein Selfmade- Teacup- Bonsai- Projekt klingt echt verlockend.
    Nein, ich werde nicht anfangen, nur lesen. Schließlich geht es bald in den Urlaub.

    Liebe Grüße,
    Katrin

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  4. Tja, lieber Markus, auch diese Wege sind manchmal unergündlich! :-)

    Danke, es hat mir heute morgen meinen Arbeitstag gleich viel fröhlicher gemacht!

    Übrigens: ich liebe deinen Blog!
    Liebe Grüße
    Dagi

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  5. Vielen Dank!

    Ja, Geduld braucht man. (Auch nicht gerade meine Stärke, aber die lernt man, wenn man sich mit Bonsais beschäftigt...glaubt mir...)

    Ich freue mich, daß ich Euch zum Schmunzeln bringen konnte!

    Liebe Grüße,
    Markus

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  6. Hallo Markus,
    das ist ja wieder so eine Geschichte, wo ich ABSOLUT nach empfinden kann....;)
    ich werde Deinen Bonsai Kurs gespannt verfolgen, wenn ich auch keine "wirklichen" Bonsais habe, so habe ich mittel große in größeren Töpfen im Hof stehen..sie sind pflegeleicht, vertragen eine Garten Schere und können im Winter draußen bleiben. Also genau das richtige für mich...;)
    Liebe Grüße
    Sonja

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