Donnerstag, 20. Oktober 2011

Ein Jahr und die Krise meines Lebens


Heute vor einem Jahr saß ich auf gepackten Umzugskisten, schob (auf Millimeterpapier gezeichnete) Möbel hin und her und hatte die Krise meines Lebens.



Wir hatten unsere Stadtwohnung gekündigt, die meisten unserer Möbel verkauft oder gespendet und die Umzugsfirma war bestellt. Wenn man an diesem Punkt angekommen ist, gibt es (selten) ein zurück.

Ich weiß noch genau, wie dieser eine Tag war. Ich wachte morgens auf und weg war die (vorher seeeehr gewisse) Gewissheit, daß wir die richtige Entscheidung getroffen hatten. Nichts mehr da von der (vorher seeeehr sicheren) Sicherheit, daß wir in Zukunft ein Leben voller Ruhe, Glückseligkeit und Naturverbundenheit führen würden. Daß es uns allen 3'n soviel besser gehen würde. Daß Gelassenheit und Zufriedenheit einziehen und der ganze Stress von uns abfallen würde. Ich wachte morgens auf und nichts war mehr da davon. Im Gegenteil. Ich war mir plötzlich (mindestens 1000prozentig) sicher, daß alles völlig falsch lief. Daß wir einfach nicht für das Land gemacht waren. Daß es schrecklich enden würde.


Alles würde sprichwörtlich den Bach runter gehen. Wir würden vereinsamen, uns fürchterlich langweilen und überhaupt nicht mehr wissen, was wir den ganzen Tag tun sollten. Einer würde dem anderen Vorwürfe machen, erst heimlich, dann offen. Wir würden uns streiten. Anschweigen. Aus dem Weg gehen. Uns scheiden lassen. Um das Sorgerecht für Sam kämpfen. (Natürlich mit gaaaanz fiesen Mitteln) Überhaupt, Sam würde verzweifeln über diese ganze fiese Natur und die wilden Tiere (Kühe, Pferde, Enten), er würde nicht mehr richtig fressen und wahrscheinlich würde jemand kommen und ihm ein besseres Zuhause suchen...
Mein Auto würde die ungewohnte Belastung nicht schaffen und ich könnte es nicht reparieren lassen. (Scheidungen sind teuer) Also würde ich meinen Job verlieren. Die Freunde sowieso.
Ich sah mich quasi schon einsam und verlassen unter irgendeiner Brücke sitzen. So würde es enden. Und da war ich mir ganz sicher.

Und selbst wenn es nicht so kommen würde: Wie hatte ich jemals denken können, daß wir ganz ohne die gewohnten Bequemlichkeiten der Stadt existieren könnten? Niemand würde uns unser Essen nach Hause liefern. Die Geschäfte würden schließen und weit und breit würde keine 24-Stunden-Tankstelle sein, um unser Überleben zu sichern. Unsere Freunde würden einmal kommen (zur Einweihungsparty) und dann niiiie wieder. Zweimal im Jahr würde ich mit einer Einkaufsliste in die Stadt fahren und sämtliche Kleidungs- und Haushaltsgegenstands-Besorgungen auf einmal erledigen. Ich würde nur noch selbstgekochten Kaffee trinken. Und so war ich mir sicher: Das ist das Ende.

Garantiert.


Nun gut. Natürlich kam alles ganz anders. Die Panik verflog, meine (gewisse) Gewissheit kam wieder und die (sichere) Sicherheit auch. Wir haben uns nicht gestritten, nicht angeschwiegen und das Wort Scheidung kommt (so vermute ich) in unserem Wortschatz überhaupt nicht vor. Sam ist der glücklichste Hund der Welt (er hat viele neue Freunde, Kühe, Pferde und Enten) und ich brauche genau 18 km mehr zur Arbeit (die mein Auto bestens schafft).

Vorsichtshalber (der Freunde wegen, die sonst niiiie wieder kommen...) haben wir erst gar keine Einweihungsparty gegeben, dafür aber einen ganzen Haufen neue Freunde gewonnen. Wir waren noch in keiner Stadt so wenig einsam wie hier.

Es stimmt, niemand liefert uns Essen nach Hause. Wir kochen selbst. Und das macht Spaß. Oder wir gehen zum Essen aus. (Es gibt so herrliche Restaurants hier) (Ich war seit einem Jahr auch an keiner Tankstelle nach 20:00 Uhr mehr).

Und noch etwas stimmt: Wir fahren (im Moment noch mehr als zweimal im Jahr) mit Einkaufslisten in die Stadt. Damit wir nichts vergessen. Sonst müßten wir am Ende in der nächsten Woche nochmal hin fahren...


Take Care,

Markus

P.S. Ich liebe immer noch Coffee-To-Go und wann immer ich die Gelegenheit habe, nehme ich mir einen mit. Und für die Zeit dazwischen mache ich mir einfach meinen eigenen...

14 Kommentare:

  1. Lieber Markus,
    eine sehr schöne Story, erinnert mich sehr an meine eigene vor drei Jahren, da sollte es auch aufs Land gehen, ich hab leider kalte Füße bekommen, genau aus vielen Gründen die du genannt hast, ich konnte nicht mehr schlafen und hab nur gegrübelt und wir haben stundenlang diskutiert und letztendlich glaube ich für uns war es die richtige Entscheidung gewesen in der Stadt zu bleiben, ich glaub es war einfach nicht das richtige Haus, nicht der richtige Ort, da waren zu viele "aber". Manchmal braucht alles eben länger, vielleicht komme ich auch noch aufs Land und lebe meinen Traum mit vielen Tieren und vor allen Dingen mit meinem eigenen Pferd, irgendwann hoffe ich das es dann doch passt.
    Ich freu mich auf jeden Fall für euch, dass alles super gelaufen ist und ihr alle glücklich seit, ich wünsche euch weiterhin viel Freude und Glück auf dem Land.
    Alles Liebe herzlichst Tatjana

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  2. ... siehst du und alles wurde gut!

    Bei Beginn neuer Lebensabschnitte hat man/frau öfter das Gefühl 'nein das schaffe ich NIE und NIMMER' und die Gedanken im Kopf spielen verrückt.
    Ich stehe im Moment auch vor einem riesigen Berg und mir ist nicht wirklich klar wo der Weg über ihn durchgeht!
    Darum tut mir dein heutiger Post seht gut und die Panik wird sicher auch bei mir verfliegen.

    Liebe Grüsse und geniesse weiterhin dein 'tolles' Landleben :)

    Cornelia

    P.S. - ...fürchterlich langweilen und überhaupt nicht mehr wissen, was wir den ganzen Tag tun sollten.

    Ein breites Grinsen legt sich auf mein Gesicht... ganz bestimmt nicht Markus... mit seinen 10 000 kreativen Ideen im Kopf !!! :)

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  3. Hallo Markus,

    ich lebe auf dem Land und musste kurz nach dem ich bei meinen Eltern ausgezogen war, in die Stadt ziehen, weil wir keine Wohnung gefunden hatten. Ich war der unglücklichte Mensch auf Erden. Seit vielen Jahren lebe ich mit meiner Familie wieder auf dem Land und Langeweile, habe ich genau wie Du keine. Man ist doch schnell in der Stadt, aber wenn wir zweimal im Jahr in die Grosstadt fahren, ist es schon viel. Bei uns im Dorf haben die Bauernläden sogar Sonntags auf. Frisches Obst und Gemüse, frische Milch- und Käseprodukte kann ich sogar bei einem Sonntagsspaziergang kaufen. Es ist die Panik vor dem Unbekannten, die uns so zweifeln lässt.

    Dir wünsche ich einen wunderbaren schönen ländlichen Tag mit viel Sonnenschein.

    liebe Grüße Lydia

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  4. Guten Morgen Markus,

    ja, ich kann es richtig vor mir sehen, wie Du in Panik gerätst(was für ein Wort) herrlich dieser Post,ich werde sicher den ganzen Tag immer wieder mal vor mich hingrinsen, und an einen total panischen Markus denken, der jetzt völlig entspannte Spaziergänge durch den herrlich gruseligen Herbstwald macht.

    Liebe Grüße
    Sanne (die in der Stadt sicher wie eine Primel eingehen würde)und jetzt zu einem netten Spaziergang aufbrechen wird

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  5. Ich finde es wunderbar, wie unterschiedlich die Kommentare zu deinem tollen Post sind...
    Ich stehe da auch vor all diesen Fragen, nur eben umgekehrt...Meine Eltern zogen auf's Land und ich (mit 6 Jahren) natürlich mit. Schule Freunde waren aber weiterhin in der Stadt..(dann eben weg, weil ich ja abends weg musste,wo Partys erst anfingen)Also war ich nur am Abend und den Wochenenden Ländlich. Wurde nie angenommen (die Städter sollen bleiben wo sie sind!!) Das blöde ist, es ist irgend wie Ländlich, aber nicht richtig, was heißt, kein Bauern Lädchen oder so...NIX!! Der letzte Bus aus der Stadt fuhr Jahrelang um 7 Uhr...Nicht gerade toll als Teenager . Dazu kommt quasi alles was dir da an Horror Szenarien durch den Kopf ging dazu....Nun möchte ich nach über 30 Jahren gerne wieder in die Stadt, denn ich möchte genau diese Annehmlichkeiten kennen lernen.Aber die Gedanken, ist es wirklich das richtige,quälen mich auch schon lange.....Leider ist Land eben nicht gleich Land....
    Liebe Grüße
    Sonja

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  6. Ich finde es sehr mutig, so eine zukunftsträchtige Entscheidung zu fällen und dann auch umzusetzen. Die Entscheidung war die Richtige und ihr habt mehr gewonnen als verloren. Sicherheit und Gewißheit entstehen in einem Selbst und nicht im Außen. Das zeigt Deine Geschichte auch sehr schön. Ich wünsche Euch einen sonnigen Tag.
    Viele Grüße, Synnöve

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  7. Ich biege mich gerade vor Lachen! Vielen Dank!

    Liebe Grüße,
    Claudia

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  8. Lieber Markus,

    so schön geschrieben! Wie so viele deiner Posts. Ich liebe deine kritische Selbstreflexion, dein dich Besinnen in deinen Erzählungen...
    Uns geht es übrigens genauso. Ab und zu in die Stadt, ok. Mehr als nötig - nein! Und ich bin froh, dass unser Wirbelwind hier auf die Welt gekommen ist und hier aufwachsen darf - ich denke, es gibt nichts Schöneres!
    Alles Liebe
    Dania

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  9. Hello, Markus
    I visited an apple orchard several weeks ago and picked a few different varieties. Delicious!
    -Karen

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  10. Hallo Markus,

    das ist ja ein schöner Blog......und deine Wandlung zum Landmenschen kann ich gut nachempfinden - ich liebe es, ein paar Tage mittendrin zu sein...in den ganz großen Städten...um dann rasch wieder abzutauchen in meine Welt....der Welt, die mich inspiriert trotz oder gerade wegen ihrer Naturverbundenheit.

    Herzliche Grüße und Genuss wünschen dir,

    Maria & Lilli

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  11. Eine tolle Geschichte! Warum entdecke ich die erst jetzt?

    LG Bine

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  12. Eine sehr schöne Geschichte, da ich das Stadtleben nicht wirklich kenne, finde ich unser Leben normal. Wir wohnen in einem 150 Einwohner Dorf;) Meine Schwester wohnt in Berlin und es ist immer sehr aufregend mal dort zu sein, aber da reichen mir 2 Tage völlig aus. Ich bin dann immer richtig froh, wieder daheim zu sein. Alles ist so schnelllebig dort. Einzig das Einkaufen sehe ich auch immer als "Problem", wir haben einen Bäcker, sonst nichts. Man muss halt ein Stück fahren und sich genau überlegen was man braucht. Aber für alles andere, Weihnachtsgeschenke und sowas, da gibts ja Onlineshops, das ist mir sowieso lieber, als in dem ganzen Gedrängel was auszusuchen.
    So, genug geschrieben, liebe Grüße von Karolina

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  13. Lieber Markus,

    was für eine schöne Geschichte, und ich freue mich für Euch das alles doch nicht so gekommen ist wie Du es befürchtet hast!
    Man kann die Ruhe des Landlebens oder einer Kleinstadt wirklich genießen und findet sogar Erfüllung in Ihr ....

    Ganz liebe Grüße
    und ein weiteres glückliches zufriedenes Landleben wünscht
    Nicole

    Super schöne Aufnahmen zeigst Du uns in Deinen diversen schönen Posts!

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  14. Hallo Marcus,
    einen schönen Blog hast du mit Sachen, die mich sehr ansprechen. Als das Buch "Leben auf dem Lande" von John Seymour in allen Buchhandlungen lag, packte es auch uns. Der Traum vom Haus war "auf dem Land" einfach erschwinglicher und so zogen wir in eine Kleinstadt. In dieser dörflich wirkenden Nachbarschaft wurden wir sehr herzlich aufgenommen und ich habe mich noch nirgends so zuhause gefühlt. Wer einen Garten hat, der hat auch keine Langeweile. Anfangs bin ich für größere Besorgungen noch oft in die Stadt gefahren. Heute bestelle ich das meiste per Internet nach Hause. Spart Sprit, Parkhaus und viiiiiel Zeit.
    Danke für die Weitergabe des Vogelfutter-Geheimrezepts. Palmfett ist eine gute Idee, denn ungesalzenes Rinderfett ist kaum zu bekommen. Nun muss ich nur noch sehen, wo ich Ambrosia-freies Vogelmischfutter kriege.
    Schöne Grüße, Johanna
    Schöne Gr

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